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Biographie (deustsch)

Victor Leonardi

Victor Paes de Barros Leonardi wird am 15. Oktober 1942 in Araras, im Bundesstaat São Paulo geboren, wo er seine Kindheit und seine ersten Jugendjahre verbringt. Er besucht öffentliche Schulen und wohnt neben der Städtischen Bibliothek, die er seit Anfang 1950 emsig besucht: Täglich liest er ein Buch. Sein Vater war Arzt, seine Mutter Lehrerin.
Im Jahre 1956, im Alter von 14 Jahren, unternimmt Victor seine erste internationale Reise nach Uruguay und Argentinien. Seither hat ihn das Reisefieber nicht mehr losgelassen. Lesen, Schreiben und Reisen, das sind die drei Kostanten in seinem Leben. Im Jahre 1958 zieht es ihn zum Englischlernen in die Vereinigten Staaten von Amerika, nach Montevallo, Alabama. Er lernt New York, Washington, Chicago und Detroit kennen, besucht auch New Orleans, wo er den Jazz lieben lernt. Kanada steht ebenfalls auf seiner seinem Reiseplan, ehe er sodann nach Brasilien zurückkehrt, um sein Abitur im Colégio Bandeirantes (São Paulo) zu machen. Biologie, Chemie und Physik gehören zu seinen Lieblingsfächern. Er will Arzt werden wie sein Vater.

Einige Zeit hilft Victor seinem Vater in der Arztpraxis, gibt jedoch schließlich das Medizinstudium auf und entschließt sich, Farmer zu werden. Im August des Jahres 1961 kauft er im Süden des Bundesstaates Bahia ein 596 Hektar großes Grundstück im Landkreis Una. Sechs Jahre und sieben Monate arbeitet er als Landwirt, pflanzt Gummibäume. Es handelt sich um ein entlegenes und schwer zugängliches Anwesen. Man benötigt Pferde um dorthin zu gelangen, 84 Kilometer hin und zurück durch die Mata Atlântica, den Atlantischen Urwald. Fehlendes Geld zum Weiterbetrieb des Projektes veranlassen Viktor zur Rückkeh; er nimmt das Jurastudium an der Rechtsfakultät von Ilhéus auf.

 

Lebt bis März 1964 zwischen Una e Ilheus. In Una gründet er 1963 die Zeitung O Democrata und wird ihr Chefredakteur. In diesem kleinen, provinziellen Blatt veröffentlicht er seine ersten Artikel. Im gleichen Jahr schreibt er sein erstes Gedicht - die nächsten 40 Jahre wird ihn die Poesie nicht mehr loslassen. Er frequentiert emsig das Leben der Boheme an den alten Kais im Häfen von Ilhéus.

In der Zeitung macht er sich unermüdlich für eine Agrarreform stark, vermeidet jedoch politische Parteinahme. Mit großem Interesse widmet er sich der Rechtsphilosophie und schreibt zahlreiche Artikel, in denen er den Autoritarismus der Kakaobarone, die den Süden von Bahia dominieren, kritisiert. Das Journal O Democrata wird nach dem Militärputsch von 1964 als subversiv eingestuft, was Leonardi in den Folgejahren unzählige Probleme bereiten soll. Einige seiner Kollegen der Rechtsfakultät werden in Ilhéus inhaftiert. Victor zieht nach São Paulo.

 

Victor Leonardi em New Orleans, 1958
Victor Leonardi em Una, Bahia, 1962

Im Jahre 1965 wird er Assistent in der Anwaltskanzlei von Dr. Motta Gonçalves, frequentiert die Geschäftstellen der Abteilungen für Zivilsuchen im Gerichtsbezirk São Paulo. Bemerkt inmitten der Arbeitsoutine und des Formalismus der Forensik, dass er sich für den falschen Beruf entschieden hat. Im Dezember 1996 erhält er sein Diplom – den Bachelor der Rechts- und Sozialwissenschaften – und bewahrt es fortan und für immer in einer Schublade auf .

Er bewegt seine Geliebte aus der Zeit am Colégio Bandereitantes, Nenilda Garcia Marinheiro – Nena –, zur Ehe. Er ist zu dieser Zeit arbeitslos. Sie sind 35 Jahre zusammen und haben zwei Kinder. Die Heirat findet im Landesinneren des Bundesstaats Goiás, in Anápolis statt - in der Stadt, in der Nena als Leherin arbeitet. Wenige Tage später, verfolgt von der Diktatur wegen seines Einsatzes für Freiheit und Menschenrechte, reisen sie von Goiás aus in den Bundesstaat Mato Grosso und verlassen Brasilien über die bolivianische Grenze. Es ist der 23. März 1967. Es folgen sieben Jahre Exil. Aufgrund merkwürdigen Zufalls – was Victor erst Jahre später erfährt, zur Zeit des Amnestiegesetzes – wird der Haftbefehl gegen sie just am Hochzeitstag unterzeichnet, am 4. März 1967.

6 Com Nena, La Guaira, Venezuela,1961.jpg

14 Monate lang durchqueren Victor und Nena verschiedene Staaten Lateinamerikas, der Karibik und Zentralamerikas. Sie reisen mit Bus oder Bahn oder, als es auf die Antillen geht, auf Frachtschiffen. Das Ziel ist Mexiko – ein niemals erreichtes Ziel. Nach kurzem Aufenthalt in New York reist Victor nach Frankreich weiter und bleibt dort sechs Jahre lang. Im Mai 1968 erreicht er Paris und erlebt intensiv die bewegende Zeit des Aufruhrs, der Auflehnung und der ertragreichen Reflexion über Gesellschaft, Kunst und Literatur.

In Frankreich arbeit Victor für eine Nichtregierungsorganisation, der Cimade, die portugiesische Immigranten in der Stadt Sucy-en-Brie (Region Paris) unterstützt. Nachts studiert er an der Universität von Paris, beendet dort ein Masterstudium in Geschichte und beginnt mit der Promotion. Er forscht in Holland, in den Amsterdamer Archiven des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, in Italien, im Mailänder Institut Feltrinelli. Absolviert auch einen Kunstgeschichtskurs an der Hochschule für Kunst und Archäologie des Louvre-Museums. Die Philosophie der Kunstgeschichte prägt sein Denken nachhaltig.

 
Er bereist verschiedene Länder Europas, des Mittleren Orients und Nordafrikas, dabei stets Gedichte schreibend und archäologisch bedeutsame Orte und Kunstmuseen besuchend. Er ist in Griechenland, Ägypten, Jordanien, Israel, im Libanon, in Syrien, in der Türkei, in Belgien, Bulgarien, Jugoslawien, Russland, der Tschechoslowakei, England und Deutschland. Im Jahre 1970 unternimmt er eine lange Reise in die Sahara, einige Oasen im Süden Marokkos streifend. Später folgen Mauretanien und der Senegal. Nimmt aktiv an Solidaritätskampagnen für das Volk von Guinea Bissau teil, verschickt Blutspenden an die Ärzte, die während des Unabhängigkeitskrieges in den guinesischen Lagern der befreiten Regionen arbeiten. 1971 verschlägt es ihn als Forscher des IRDEF (Institut de Formation et de Recherches em vue du Développement) nach China, wo er während der Kulturrevolution einige Monate verbringt und 11 Provinzen aufsucht. Einige seiner Aufnahmen des Fernen Ostens werden in die französische Enzyklopädie Alpha aufgenommen. 1972 ist er in Jerusalem. In Paris arbeitet er 1973 als Korrespondent für die in Rio de Janeiro ansässige Zeitschrift Opinião. Die Reisen in den 60er- und 70er-Jahren – durch Lateinamerika, die Vereinigten Staaten, Europa, Afrika und Asien – geben den gedanklischen Stoff für eine universalistische und ökumenische Weltauffassung, die sich bei der Lektüre seiner Bücher wiederfinden lässt. Sie behandeltn typisch brasilianische Themen und Motive, werden jedoch begleitet von der subtilen Präsens von den Mythen und Glaubensrichtungen, die der außergewöhnlich Vielfältigkeit menschlichen Seins entstammen, die Victor auf den Reisen durch die fünf Kontinente angetroffen hat.
 

Zurück in Brasilien, wird er im März 1974 Professor im Fachbereich für Geschichte an der Universität Brasília. Im Rahmen seiner Promotionsstudiums führt Leonardi Studien in verschiedenen historischen Archiven in fünf Regionen Brasiliens durch, muß jedoch 1976 aufgrund neuerlicher Verfolgung durch die Diktatur die UnB verlassen. Er arbeitet sodann als Gastprofessor am Institut für Philosophie und Humanwissenschaften an der Unicamp. Zusammen mit Paulo Sérgio Pinheiro koordiniert er dort ein zweijähriges Forschungsprojekt namens Imagens e história da industrialização no Brasil (Bilder und Geschichte der Industrialisierung Brasiliens). Es findet in einer großen Ausstellung im MASP, dem Kunstmuseum von São Paulo, seinen Abschluss. 1977 verfasst er zusammen mit Francisco Foot Hardaman ein Buch names História da Indústria e do Trabalho no Brasil (Industrie- und Arbeitsgeschichte Brasiliens), arbeitet mit den Cineasten Lauro Escorel und Adria Cooper zusammen, um alte Filme und Fotographien von São Paulos Industriebauten aus der Zeit des ausklingenden 19. Jahrhunderts zu aufzufinden und wiederzuerlangen. Im gleichen Jahr schreibt Leonardi im Magazin Isto É über internationale Politik.

 

Kehrt sodann in den Südosten zurück, lebt zusammen mit seiner Familie in Santos, am Ponta da Praia. Er wird Mitglied im Rat der Herausgeber des Verlags Kairós mit Sitz in São Paulo. Verfasst zahlreiche Artikel, in denen er sich für demokratische Freiheit und die Einberufung einer souveränen verfassungsgebenden Versammlung stark macht. Die Artikel werden in kleinen und geheimen Zeitungen der oponierenden Gewerkschaften, welche die durch die Diktatur verhängte Zensur herausfordern, veröffentlicht. Er schreibt unter dem Pseudonym M.S. Tocantins oder Sérgio Tocantins, da die Repression in diesen Jahren noch beträchtlich ist. Später nimmt er an der Gründung der Stiftung der Zeitung O Trabalho, verlegt in São Paulo, teil.

Kehrt in den Südosten zurück, um für zwei Jahre als Professor der Bundesuniversität von Paraíba in João Pessoa zu arbeiten, im Fachbereich Sozialwissenschaften. Besitzt dort ein Haus am Strand von Cabedelo, wo er, nach unzähligen Gesprächen mit den Walfängern des Hafens von Costina, den Roman
Radamanto schrieb. Reist viele Male durch das Buschland von Paraíba und von Rio Grande do Norte.

Im Dezember 1982 zieht die Familie Leonardi von Recife nach Spanien, lässt sich im andalusischen Benalmadena Pueblo, in der Provinz von Malaga, nieder. Victor betreibt Forschungen in spanischen und andalusischen Archiven, redigiert die 430 Seiten des Buch
Entre árvores e esquecimentos („Zwischen Bäumen und Vergessenem“). Nena widmet sich der Malerei, Tochter Julia dem Flamenco. Victor schreibt eine Kinderfabel namens Montanha do Meio do Mundo (Mittelweltsgebirge), fertigt die dazugehörigen Zeichnungen an. Vier produktive spanische Jahre, in denen Victor mit dem Verfassen von Fiktion fortfährt. Das Ergebnis ist das Buch Quando o escriba do castelo era eu („Als ich der Hofschreiber war“). 1985 Reisen nach Finnland und Schweden, in Begleitung des finnischen Dichters Pekka Parkkinen. Keramik- und Modellierkurse bei einer Bildhauerin aus Malaga. Bis heute schätzt Victor den amateurbildhauerischen Zeitvertreib mit Lehm und Steinen.

Nach Verkündung der Amnestie durch die Verfassungsgebende Nationalversammlung kehrt Victor Leonardi im März 1987 nach Brasilien zurück, um neuerlich am Fachbereich Geschichte der UnB zu lehren, nach elf Jahren Abwesenheit. Bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand bleibt er in Brasília, schreibt dort zahlreiche Bücher, unter anderem
Jazz em Jerusalém sowie Os navegantes e o sonho - Presença do Oriente na História do Brasil (Die Seefahrer und der Traum – Gegenwart des Orients in der Geschichte Brasiliens). Wird Mitglied des Rates des Herausgeber des UnB-Magazins Humanidades. Hebt im Fachbereich Geschichte den Studiengang Religionsgeschichte aus der Taufe, widmet sich für einige Jahre mit seinen Studenten der Geschichte des Buddhismus, Taoismus, des Judentums, des Islam und des Frühchristentums. Im Buch Jazz em Jerusalem gelingt ihm die umfassende Artikulation seines Denkens: eine Philosophie kreativen Arbeitens, in der Invention und Tradition in einem dialogischen, sich gegenseitig hinterfragenden Verhältnis stehen, auf diese Weise die vermeintliche Unvereinbarkeit von klassischem und modernen Denken überwindend.

1987 wird er Mitglied im Centro de Estudos Avançados Multidisciplinares (Zentrum für fortgeschrittene multidisziplinäre Studien) der UnB, das eine Forschungseinheit Amazonasstudien hat. Hier entwickelt er zahlreiche Projekte. Eines davon heißt
Projekt Natterer und wird in Partnerschaft mit dem Amazonasmuseum von Manaus durchgeführt. Leornardi, Andréa Fenzl und der aus dem Amazonasgebiet stammende Historiker Geraldo Pinheiro verschlägt es bis nach Österreich, wo sie 1996 zusammen mit dem Fotographen Juan Pratginestós im Wiener Museum für Völkerkunde Hunderte ethnographischer Fundstücke lokalisieren und fotografieren, die Johann Natterer vor 170 Jahren in Amazonien gesammelt hat. Das Ergebnis ist eine Wanderausstellung, die in den Folgejahren zehn brasilianische Museen durchläuft.

Ebenfalls im Jahr 1996 verbringt Leonardi ein Semester in Manuas, arbeitet für das Amazonasmuseum und redigiert dort das Buch Os historiadores e os rios („Die Historiker und die Flüsse“). Es handelt von der in Ruinen liegenden Stadt Velho Airão, die im Jahre 1694 an der Ufern des Flusses Jaú gegründet wurde und seit über 40 Jahren entvölkert und aufgegeben ist. Er besucht die Ruinen in Begleitung von zwei Archäologen aus Rio de Janeiro und entwirft einen Plan zur Erfassung von Velho Airão durch das Instituto do Patrimônio Histórico e Artístico Nacional, IPHAN (Institut für das Historische Erbe und Nationale Kunst). Leonardi, Geraldo Pinheiro, José Ribamar Bessa Freire und andere Historiker unterzeichnen diesen Vorschlag, der leider niemals angenommen wurde. Die Ruinen (die Kirche aus dem Jahr 1702) sind heute beschädigt.

Im Jahr 2000 organisieren und koordinieren Leornardi und der Biologe Cezar Martins de Sá eine große wissenschaftliche Expedition durch das venezuelanische und brasilianische Amazonien - die
Expedition Humboldt. An dieser langen Reise nehmen 49 Wissenschaftler teil.

Außer Historikern nehmen Professoren der Zoologie, Botanik, Molekularbiologie, Hydrologie, für Gesundheitswesen, der Geochemie, Geografie, Ökologie, Mythologie, Astronomie und Archäologie teil. Sie befahren und erforschen den Cassiquiare-Kanal, die Flüsse Orinoco, Negro, Amazonas, Maués Açu, Uatumã, Urubu, Nhamundá, Trombetas, Tapajós, Xingu, Jari und Oiapoque. Verwendet werden zwei Boote, von denen eines eine Bibliothek und die Forschungsausrüstung beherbergt. 62 Tage an Bord, 9200 zurückgelegte Kilometer zwischen Caribe (Unterer Orinoco) und Belém do Pará. Das Ergebnis sind zahlreiche wissenschaftliche Artikel, 10 000 Fotos, ein Dokumentarfilm, eine Ausstellung der Werke des Künstlers Rômulo Andrade. Der Journalist Nicolas Reynard der Zeitschrift National Geographic begleitet die Expedition und berichtet täglich auf seiner Website. Der Dokumentarfilm bekommt den Namen Expedição Humboldt. Leonardi ist sein Regisseur, Luiz Carlos Saldanha und Frederico Rêgo sind die Kameraleute. Renato Barbieri macht die Exekutivproduktion, Valdir de Pina ist „edition director“, Rômulo de Andrade, director of arts“.

 

Anfang 1987 hält sich Leornardi, damals Forscher im Zentrum für Amazonasstudien an der UnB, in Begleitung des Anthropologen und Völkerkundlers Ezequias Heringer Filho (Xará) in den Indianerdörfern von Ampá (bei den Waiãpi und Karipuna), Roraima (bei den Yanomami), Amazonas (bei den Munduruku) und in Mato Grosso (bei den Baikari und Nambikwara) auf. Als Beobachter nimmt er 1987 an der 1. Nationalen Begegnung von Pajés in Mato Grosso teil, sich dem Studium medizinischer Pflanzen und des Schamanentums widmend.


Zu Beginn des Jahres 1989 wird Leonardi ein Sabatsemester zuerkannt. Er reist durch Indien und Nepal, besucht jainistische, hinduistische und buddhistische Gemeinden. Er ist in Katmandu und Pokhara, besucht die Ateliers der Maler und Bildhauer der Mandalas, durchquert unzählige Dorfansiedlungen im Himalaya, an der Grenze zu Tibet, und durchquert auf dem Rücken eines Elefanten den Nationalpark an der Grenze von Nepal und Indien, um Nashörner zu fotografieren. In Asien hat er die Idee zum Buch Os navegantes e o sonho, welches den Einfluss des Orients in der Geschichte Brasiliens behandelt. Er schreibt das Buch auf der Grundlage umfangreicher Literatur, die er sowohl in Goa auftreibt, als auch auf der Grundlage von Material, das er auf seinen Studienreisen durch China (1971) und durch 16 islamische Staaten (in den 70er-Jahren) gesammelt hat.

21 Atlantico negro.jpg

1992 trifft Leonardi bei dem Video-Festival von Aracajú auf den aus São Paulo stammenden Cineasten Renato Barbieri. Es ist neuerlich der Auftakt zu einer langjährigen Arbeitspartnerschaft. Sie betreiben Studien, schreiben Drehbücher für zahlreiche Dokumentarfilme, drehen in Maranhão, Bahia, in Afrika, Italien, Portugal, Kuba, Spanien und in den Vereinigten Staaten. Der Film Atlântico Negro: na rota dos orixás (Schwarzer Atlantik: Auf der Route der Orixas), der in den Dörfern von Benin aufgenommen wird und der über den Ursprung des Candomblé und des Voodoo handelt, wird 1999 für das Internationale Filmfestival von Cannes ausgewählt und dort aufgeführt.

1997 beginnt Leonardi, unterstützt vom United Nations Development Programm (UNDP), mit dem Studium der brasilianischen Grenzgebiete. Die Forschungsvorhaben sind durch das Gesundheitsministerium gegenüber der UnB beantragt worden; Leonardi übernimmt sie. Er hört auf zu dozieren und bereist die brasilianischen Grenzen mit Französisch-Guyana, Surinam, Guyana, Venezuela, Kolumbien und Peru. Hin und wieder verweilt er in Brasilia, studiert das gesammelte Material (Dokumente, Interviews) und instruiert seine Assistenten, die in den Bibliotheken, Archiven und Dokumentationszentren der Hauptstadt Forschungen durchführen. Ziel ist die Bereitstellung von Finanzhilfen für ein AIDS-Präventionsprogramm in den Grenzgebieten. Zu diesem Zweck forscht Leonardi in Amazonien, lebt zusammen mit Diamantsuchern, Fischern, Soldaten, Holzfällern, Kleinhändlern, Prostituierten, Fernfahrern und brasilianischen Immigranten, die in den Nachbarstaaten wohnen. Das Ergebnis ist das Buch Fronteiras Amazônicas do Brasil: Saúde e História Social (Die amazonischen Grenzen Brasiliens: Gesundheit und Sozialgesichte).

Ein Forschungsvorhaben mit ähnlicher Zielsetzung wird 2002 beantragt. Leornardi macht sich zu den brasilianischen Grenzgebieten mit Uruguay, Argentinien, Paraguay und Bolivien auf. Unterstützt durch das United Nations Office against Drugs and Crime (UNODC), studiert er dort die Gewalt und die Rolle der organisierten Kriminalität. Ergebnis ist das Buch
Violência e direitos humanos nas fronteiras do Brasil: História social da Aids, das drogas e de sua prevenção (Gewalt und Menschenrechte an den Grenzen Brasiliens: Sozialgeschichte von AIDS, Drogen und ihrer Prävention) mit Vorwort vom italienischen Richter Giovanni Quaglia.

 
Das zweite Semester des Jahres 2001 verbringt Leonardi als Gastprofessor an der Universität von Kalifornien, auf dem Campus von Berkeley, wo er Vorlesungen über das kontemporäre Brasilien (auf der Grundlage von Autobiografien brasilianischer Schriftsteller) und über die lateinamerikanische Literatur betreffend Amazonien hält. Er besucht unzählige Male San Francisco und durchreist die Sequoia-Wälder im Norden Kaliforniens. Vor der Rückkehr nach Brasilien zieht es ihn noch nach Las Vegas und nach Hawai.
 

Nena Leonardi stirbt im Juni 2002. Sie und Viktor waren gerade von einer Reise nach Venedig zurückgekehrt. Die vergangenem zehn Jahre hatte sie als Professorin im Fachbereich Visuelle Kunst der UnB gearbeitet.

Nach 46 Jahren kehrt Victor erstmals wieder in seinen Geburtsort Araras zurück, den er am 15. Dezember 1957 verlassen hatte, und belebt alte Freundschaften wieder. Er lernt dort Márcia kennen, mit der er seit April 2005 zusammenlebt. Márcia Michielim Tonholi ist Psychologin und wurde 1963 in Araras geboren.

 

Der in São Paulo ansässige Verleger Massao Ohno publizierte zwei Gedichtsbände von Leonardi: das Livro verde das horas, mit Vorwort des Poeten Franz Rulli Costa, und Território do escritor. Beide Bände enthalten einführende Bemerkungen von Luís Bogo. Sein drittes Band – A arte de viajar à deriva e ressurgir com paixão – erscheint 2003 in Rio.

Valentim Facioli, von Nankin Editorial, verlegt 2001 in São Paulo seine erste Fiktion
Quando o escriba do castelo era eu, ferner den Essay Jazz em Jerusálem. Unter dem Titel „Leonardi praktiziert das faszinierende Spiel der Imagination“ stellt Francisco Costa im Mai 2002 Folgendes zum escriba in der Zeitung O Estado de S. Paulo fest: „Die Lektüre ist so angenehm, so mitreißend, dass man nicht von ihr loslassen kann. Die Sprachperspektive ist so neu, so interessant, dass das einzige Wort ist, das mir einfällt, um Leonardis Prosa zu erklären: Filigranarbeit. Ja, es ist die feine, unsichtbare Filigranarbeit in diesem fiktionalen Text“. Marcelo Rollemberg hat seinerseits Folgendes in der Zeitung O Globo (aus Rio de Janeiro) im März 2002 geschrieben: „In den Geschichten seines Buches schafft Leonardi Situationen, in denen seine menschlichen Darsteller in einem Netz verwoben sind, das viel größer ist als sie. Es ist das Netz der Wörter. Ist das Tatsache oder Fiktion? Wird das irgendwann tatsächlich passieren oder nicht? Aber dies ist, noch bevor es zum Hindernis wird, eine weitere verführerische Zutat in Leonardis Schriftstellerei. Es ist dieses Spiel mit Wörtern, das sein Buch interessant und verschieden macht“.

Die meisten seiner Bücher werden vom Verlag Paralelo 15 und vom Verlag der UnB lanciert:
Entre árvores e esquecimentos (1996); Os historiadores e os rios (1999); Os navegantes e o sonho (2005).

Neben diesen Büchern schrieb Viktor Leonardi Kapitel in folgenden Gemeinschaftswerken:
História do Século XX (Verlag Abril, 1974), Brasil História (Verlag Brasiliense, 1979) und, auf Spanisch, História General de América Latina, 2000 in Madrid durch den Verlag Trotta publiziert.
 

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Victor Leonardi schreibt mit Bleistift, benutzte niemals einen Computer, eine Schreibmaschine oder einen Kugelschreiber. Seine Technik ist absolut simpel: Bleistift und Blätter weißes Papier. Seit über 25 Jahren gehört er keiner politischen Gruppierung mehr an und unternimmt auch keine Anstrenungen, um in die Medien zu gelangen. Er schätzt jedoch mit seinen Lesern in Konakt zu bleiben und tauscht sich mit ihnen aus.

Es gibt Tage, an denen er gute Weine trinkt. Es gibt Tage großer Glückseligkeit in Begleitung von Márcia. Und es gibt Tage, an denen sich Victor Leonardi einzig und allein der Aufgabe widmet, zu schlafen und zu träumen. Träume und Mythen sind in seiner Literatur allgegenwärtig.

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